AfD in der Stichwahl: Die neue Normalität der Ungeheuerlichkeiten
TL;DR: In NRW stehen AfD-Kandidaten in drei Großstädten (Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen) in der Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt. CDU und SPD versprechen Einigkeit gegen rechts, doch der Erfolg der AfD zeigt: Was einst Warnung war, ist heute demokratischer Alltag geworden.
In drei Großstädten Nordrhein-Westfalens (Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen) steht die AfD in der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters. CDU und SPD geben sich staatstragend. Doch der eigentliche Befund liegt tiefer.
Was früher als Warnung galt, ist heute Wahlroutine: In Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen tritt die AfD in zwei Wochen zur Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt an. Dass eine rechtsextreme Partei, einst als Protestoption belächelt, heute fest im demokratischen Prozedere verankert ist, kommentiert kaum mehr jemand. Es passiert ja „nur“ in der Kommunalpolitik – dort, wo angeblich das Sachliche das Politische verdrängt.
Doch wer den
Fakten glaubt, kommt nicht umhin, das Politische gerade hier zu erkennen: In
Gelsenkirchen erreichte Norbert Emmerich (AfD) 29,8 Prozent der Stimmen – fast
ein Drittel. Seine Kontrahentin Andrea Henze (SPD) lag bei 37 Prozent. In
Duisburg kam Carsten Groß (AfD) auf 19,7 Prozent, während Amtsinhaber Sören
Link (SPD) mit 46 Prozent trotzdem in die Stichwahl muss. In Hagen trifft Michael
Eiche (AfD, 21,2 Prozent) auf CDU-Mann Dennis Rehbein (25,1 Prozent).
Drei Städte,
drei Male AfD in Runde zwei. Der Wähler hat gesprochen – und zwar so deutlich,
dass es die demokratischen Parteien in Erklärungsnot bringt.
„Demokraten
wissen, was zu tun ist“
CDU-Ministerpräsident
Hendrik Wüst und SPD-Landeschefin Sarah Philipp bemühten sich im WDR um
Geschlossenheit: Man werde sich gegenseitig unterstützen – dort, wo es gegen
die AfD gehe. „Mit Rechtsextremen gemeinsame Sachen machen, geht nicht“, sagte
Philipp. Man fragt sich: Seit wann muss man das eigentlich noch sagen?
Was wie
staatsmännische Vernunft klingt, ist bei genauem Hinhören ein politischer
Offenbarungseid: Die demokratische Mitte, die sich lange für selbstverständlich
hielt, entdeckt ihre Koalitionsfähigkeit gegen rechts erst dann, wenn das
rechte Lager bereits im Rathaus sitzt.
Die
Christdemokraten wurden laut vorläufigem Ergebnis mit 33,3 Prozent stärkste
Kraft. Ein Achtungserfolg – gemessen an der Schwäche der SPD (22,1 Prozent) und
der Rückkehr der Grünen zum Ergebnis von 2020 (13,5 Prozent). Doch ob daraus
ein Kurs oder nur ein Verharren resultiert, bleibt offen.
In Städten
wie Düsseldorf (Stephan Keller, CDU – 43,6 Prozent) oder Essen (Thomas Kufen,
CDU – 42,3 Prozent) gehen CDU-Amtsinhaber mit Vorteilen in die Stichwahl. Doch
absolute Mehrheiten bleiben die Ausnahme. Die Kommunen bestätigen, was
bundespolitisch längst Realität ist: Keine Partei regiert allein.
Grüne
verlieren, AfD gewinnt: Zwei Seiten derselben Demokratie?
Die Grünen
mussten Einbußen hinnehmen. In Köln liegt ihre Kandidatin Berivan Aymaz mit
28,1 Prozent zwar vorne, doch sie steht in der Stichwahl gegen Torsten
Burmester (SPD, 21,3 Prozent). In Bonn wird Amtsinhaberin Katja Dörner (Grüne)
von Guido Déus (CDU, 38,9 Prozent) herausgefordert.
Dass die AfD
landesweit 14,5 Prozent erreicht – doppelt so viel wie die FDP (3,7 Prozent) –
wäre in einer älteren Republik noch eine politische Katastrophe gewesen. Heute
ist es eine Fußnote im Liveticker.
In Dortmund
führt SPD-Amtsinhaber Thomas Westphal mit 27,4 Prozent, muss aber in die
Stichwahl gegen CDU-Kandidat Alexander Omar Kalouti (17,0 Prozent). In Münster
trennen die Grünen (41,3 Prozent) und die CDU (37,3 Prozent) gerade einmal vier
Prozentpunkte. Das zeigt: Die politischen Lager sind nicht in Bewegung – sie
sind in der Schwebe.
Und in
dieser Schwebe gedeiht, was lange am Rand blühte.
In zwei
Wochen, am 28. September, wird in zahlreichen Städten erneut gewählt. Keine
Entscheidung, nur eine Fortsetzung. Es ist die Logik der Stichwahl – und
vielleicht auch der Demokratie in ihrer jetzigen Verfassung: kein Fortschritt,
sondern ständiges Ausbalancieren.
Die AfD
profitiert von diesem Schwebezustand. Sie muss nicht überzeugen, nur
verunsichern. Sie muss nicht gestalten, nur zersetzen. Wer sie verhindern will,
muss nicht nur aufrufen – er muss erklären, warum das Morgen mit der CDU oder
der SPD besser sein soll als das Gestern mit niemandem.
Und wenn
niemand mehr erklären kann, wofür er steht – dann weiß auch niemand mehr,
wogegen er ist.