Janis Ehling, im Interview mit nd oder – Nicht Antisemitismus, sondern seine Benennung verursacht Schaden

TL;DR: Rezension des nd-Interviews mit Linke-Bundesgeschäftsführer Janis Ehling: Viel Konsens, wenig Kritik. Wer Antisemitismus benennt, stört das linke Einvernehmen. Ehling spricht von Haltung, sagt aber wenig zur Konsequenz. Sprache wird verteidigt, Verantwortung vertagt.



Zum Interview: „Zwischen Konsens und Kritik – Linke-Bundesgeschäftsführer Janis Ehling über die Nahost-Debatte in seiner Partei“ (nd, Interview: Patrick Lempges)

Ein Gespräch mit einem Parteifunktionär ist selten deshalb aufschlussreich, was er sagt – sondern vor allem, was er weglässt. Das Interview, das nd-Redakteur Patrick Lempges mit Janis Ehling, dem Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, geführt hat, ist ein solcher Fall von kontrollierter Offenbarung. Ein Gespräch, das vorgibt zu klären – und doch nur verwaltet, was nicht ausgesprochen werden darf.

Die Sprache des Ungefähren

„Der Vorwurf des Antisemitismus schadet sowohl der Palästina-Solidaritätsbewegung als auch unserer Partei“, sagt Ehling. Und sagt damit alles – vor allem über den Zustand seiner Partei. Nicht der Antisemitismus wird zum Problem erklärt, sondern seine Sichtbarkeit. Nicht das Ressentiment wird bekämpft, sondern dessen Benennung gemanagt. Die Partei, die alle Opfer zählen will, zählt offenbar lieber mit, als Täter zu benennen.

Der Satz ist mehr als ein rhetorischer Fehltritt. Er ist die Chiffre für ein linkes Krisenmanagement, das sich an Symbolen abarbeitet und Begriffe scheut wie andere die Realität. Wenn es antisemitische Tweets gibt, in denen einer jüdischen Schülergruppe der Sturz aus einem Flugzeug gewünscht wird, dann ist in dieser Logik nicht der Tweet das Problem – sondern der Skandal, dass er öffentlich wurde. Die Partei reagiert nicht mit Haltung, sondern mit Schweigen. Das ist keine Überforderung. Es ist Absicht.

Ehling betont immer wieder, man erwarte „Verantwortungsbewusstsein“ von Funktionären. Nur: Verantwortung ohne Verantwortlichkeit bleibt folgenlos. „Nulltoleranz“ wird beschworen, aber nicht operationalisiert. Wer glaubt, ein Begriff genüge, um ein Problem zu bannen, verwechselt Sprache mit Haltung – oder will es verwechseln.

Das Interview zeigt exemplarisch, wie sprachpolitisches Glätten zur Strategie geworden ist. Ehling laviert zwischen Begriffen wie „Solidarität mit allen Opfern“ und „Genozid“ – letzterer wird offiziell vermieden, obwohl er auf den Flyern zur Demo „Zusammen für Gaza“ prominent auftaucht. Juristisch sei der Begriff „heikel“, sagt Ehling, doch politisch taugt er offenbar zur Mobilisierung. Wer so argumentiert, betreibt keine differenzierte Aufklärung, sondern selektive Alarmierung.

Und dann Frankfurt. Zwei Wochen lang bleibt ein antisemitischer Tweet der Linksjugend öffentlich. Erst auf Druck wird er gelöscht. Die Parteiführung? Schweigt. Ehling? Redet – von Konsens, vom Dialog, von schwierigen Debatten. Das alles klingt nach Prozess, ist aber Stillstand. Der antisemitische Vorfall wird nicht verurteilt, sondern eingehegt – als bedauerlicher Betriebsunfall im Getriebe linker Bewegungsästhetik.

Der Antisemitismusvorwurf, so wird suggeriert, sei gefährlich – nicht, weil er zutreffe, sondern weil er der Partei schade. Eine dialektische Verkehrung, bei der Täter als Reputationsrisiko und Kritiker als Nestbeschmutzer erscheinen. Wer so denkt, schützt nicht die Opfer antisemitischer Gewalt, sondern die parteiinterne Ruhe.

Gesprächsführung als Strukturhilfe

Patrick Lempges tut, was viele Journalisten für Objektivität halten: Er lässt reden. Er fragt auch – zum Teil präzise –, doch das Interview bleibt eine Bühne, auf der Ehling sein Gleichgewicht hält, ohne je in die Tiefe zu gehen. Der Gesprächsverlauf folgt einer dramaturgisch klugen Choreographie – von der Demo über die Parteilinie bis zum Existenzrecht Israels. Nur: Nirgends wird es unbequem.

Lempges lässt Begriffe wie „Existenzrecht“ oder „doppelte Standards“ anklingen, doch er insistiert nicht. Das Interview simuliert Konflikt – ohne ihn herzustellen. Wer es liest, versteht besser, wie man politische Klarheit vermeidet, ohne die Fassade der Offenheit zu beschädigen.

Die Linke demonstriert am 27. September „für Gaza“. Für Frieden. Für Völkerrecht. Für das, was man Solidarität nennt. Doch sie schweigt zur eigenen Geschichte. Sie schweigt zur Drohung gegen jüdische Schüler. Sie schweigt zur Frage, warum Antisemitismus im eigenen Lager keine organisatorischen Konsequenzen hat.

Ehling spricht nicht gegen Antisemitismus – er spricht gegen dessen Aufdeckung. Die Lehre aus Auschwitz wird rhetorisch weiterverhandelt – als „Standortnachteil“, nicht als zivilisatorischer Imperativ. Das Ergebnis ist linke Israelkritik als regressive Ideologie: moralisch aufgeladen, historisch entkoppelt.

Was als Versuch beginnt, linke Palästina-Solidarität zu klären, endet in einer sprachpolitischen Nebelbank. Janis Ehling will vermitteln – und verwischt. Der reale Antisemitismus in der Partei wird rhetorisch neutralisiert, nicht politisch geahndet. Wer so führt, duldet beides: legitime Kritik und Vernichtungsfantasie.

Das Interview zeigt: Die Linke hat ihre Sprache für Israel verloren. Und mit ihr die Unterscheidung zwischen Kritik und Hass. Wer Antisemitismus benennt, stört den Konsens. Wer schweigt, wird belohnt – mit Zustimmung, mit Posten, mit innerparteilicher Ruhe.

Eine Partei, die Täter nicht benennt, kann keine Solidarität mit Opfern beanspruchen.

 

 

 

 

 

 

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