Barbarei oder Zukunft?

TL;DR: Die autoritäre Rechte wächst, die liberale Mitte zerfällt – damit beginnt jene Barbarei, vor der Rosa Luxemburg warnte, Linke Politik muss neu gedacht werden: radikal, solidarisch, international. Die Zukunft gehört uns – wenn wir sie zurückerobern.



Ein Plädoyer für linke Alternativen in Zeiten autoritärer Umbrüche

Friedrich Engels sagte einst: ‚Die bürgerliche Gesellschaft steht an dem Scheideweg, entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückschritt in die Barbarei.‘“
, 1915 (Junius-Flugschrift)

Trumps Amerika – und der Rückzug der Demokratien der Welt vor ähnlichen Formen rechtsextremen Populismus – ist jene Barbarei, vor der Rosa Luxemburg warnte. Als sie fragte: „Sozialismus oder Barbarei?“, war das keine bloße Metapher, sondern ein politischer Kompass.

„Was ich fürchte, ist nicht ein momentaner Rückfall in den Autoritarismus“, schrieb David Brooks in der New York Times, „sondern ein generationaler Übergang zur Barbarei.“
Damit benennt er ein Gefühl, das sich längst tief in unsere Gesellschaften eingeschrieben hat: Der Glaube an eine bessere Zukunft, an den Fortschritt – er ist verschwunden. Stattdessen ist eine neue Normalität des Krisenhaften, des Ausnahmezustands, des permanenten Notbetriebs an seine Stelle getreten.

Doch was Brooks als kulturpessimistische Bestandsaufnahme meint, kann – im Geiste Rosa Luxemburgs – auch als Analyse einer historischen Weggabelung gelesen werden: Sozialismus oder Barbarei.
Doch während Luxemburg noch an eine reale Alternative glaubte, scheint heute selbst die Hoffnung auf Emanzipation verdampft zu sein.

Von der Hoffnung zur Agonie: Der Verlust der Zukunft

Der Neoliberalismus, einst als Modernisierungsprojekt verkauft, liegt in Agonie. Seine Epoche – von Reagan bis Scholz – war nicht nur eine Ära der Ökonomisierung aller Lebensbereiche, sondern auch des systematischen Rückbaus demokratischer Gestaltung. In der Krise von 2008 zeigte sich, dass dieses Modell nicht reformfähig ist – es reagierte mit Vertiefung, nicht mit Revision.
Die Folge: wachsende Ungleichheit, Verlust öffentlicher Räume, soziale Kälte.

In dieses Vakuum stößt die neue autoritäre Rechte. Orban, Trump, Milei, Meloni – sie sind keine Rückkehr des Alten, sondern Symptome einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die ihre Legitimität verloren hat. Ihre Stärke ist das Versprechen von Ordnung – ethnisch, kulturell, geschlechtlich. Sie bieten falsche Antworten auf reale Fragen.

Antonio Gramsci sprach vom „Interregnum“, jener Zeitspanne, in der das Alte stirbt, das Neue aber nicht zur Welt kommen kann. Diese Zwischenzeit ist unsere Gegenwart. Sie ist von Monstern bevölkert – politischen Chimären, ideologischen Fragmenten, autoritären Innovationen. Die Linke hat darauf bisher kaum Antworten gefunden.

Denn das politische Feld ist nicht mehr entlang der Achse links-rechts strukturiert, sondern entlang zweier Flügel des Kapitalismus:

·        dem liberal-globalistischen, der einen zivilisierten Kapitalismus verteidigt,

·        und dem autoritären, ethnorassistischen, der auf nationale Abschottung und patriarchale Gewalt setzt.

In dieser Konstellation fehlen glaubhafte Alternativen. Es herrscht – wie Didier Eribon formuliert – ein „Verlust einer allgemeinen, positiven Idee des Guten“.

Was tun? – Für eine neue, emanzipatorische Politik

Der Satz „So kann es nicht weitergehen“ ist nicht bloß Klage, sondern Ausgangspunkt. Gerade weil der Neoliberalismus seine Glaubwürdigkeit verspielt hat, eröffnet sich ein Raum für neue Vorstellungen, neue Praktiken, neue Politik.
Die Zeit der Alternativlosigkeit ist vorbei – doch es liegt an uns, die richtigen Alternativen zu entwerfen.

Eine emanzipatorische Antwort auf die Krise muss mindestens drei Dimensionen umfassen:

1.     Soziale Gleichheit
Ohne radikale Neuverteilung von Eigentum und Ressourcen, ohne Bruch mit der kapitalistischen Eigentumslogik wird es keine gerechte Gesellschaft geben. Das bedeutet auch: die Rückgewinnung des Öffentlichen – Bildung, Wohnen, Gesundheit – als Gemeingut.

2.     Demokratie von unten
Eine autoritär gewendete Mitte braucht eine radikale Demokratisierung als Gegengift. Das heißt: Stärkung direkter Mitbestimmung, Dezentralisierung von Macht, Einbindung der Vielen.

3.     Internationale Solidarität
Die neue Rechte ist transnational, also muss es auch eine neue Linke sein. Kämpfe gegen Austerität in Griechenland, feministische Bewegungen in Lateinamerika, Klimaaktivismus weltweit – sie müssen vernetzt und zusammen gedacht werden.

In dieser neuen Zeit kann linke Politik nicht länger auf eingefahrene Formen der Organisation setzen. Sie muss sich anpassen – an spontane Erhebungen, an digitale Räume, an widersprüchliche Bewegungen.
Der „Stellungskrieg“ der Gewerkschaften und Parteien ist notwendig – aber er muss ergänzt werden durch „Bewegungskriege“: soziale Aufstände, neue Allianzen, radikale Experimente.

Die Linke darf sich nicht länger als Moralinstanz oder intellektuelle Randfigur verstehen. Sie muss von der Kritik zur Kraft werden.
Nicht als Avantgarde, sondern als kollektiver Lernprozess. Noch fehlt es an Organisierung, an Theorie, an Vision. Aber es ist möglich.

Es ist nicht leicht – wir kämpfen nicht nur gegen strukturelle Machtverhältnisse, sondern auch gegen Ohnmachtserfahrungen, gegen die politische Müdigkeit vieler.
Doch der Kampf um die Zukunft beginnt genau hier: mit der Einsicht, dass Veränderung möglich bleibt, selbst wenn sie unmöglich erscheint.

Wir leben nicht im Ende der Geschichte, sondern in ihrem explosivsten Kapitel. Die Gefahr der Barbarei ist real.
Aber Geschichte ist offen. Dass heute Monster regieren, ist kein Naturgesetz – sondern das Ergebnis von Macht, Angst und Lähmung.

Wir können diese Zeit verwandeln – wenn wir den Mut haben, das „Gute“ neu zu denken:
als kollektive Freiheit, als soziale Gerechtigkeit, als globale Solidarität.

Was ist eine Revolution anderes als die Rückeroberung der Zukunft durch die Vielen?

 

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