Die Denunzianten-Mission

TL;DR: Canary Mission: digitale Pranger mit Ablasshandel. Kritik an Israel z.B. an Nwird als Hass gelistet, Ein Pranger, der Angst statt Argumente produziert und Amnestie für Entschuldigungen anbietet. McCarthyismus im Cloud-Zeitalter.



Die „Canary Mission“ ist das, was dabei herauskommt, wenn selbsternannte Freunde Israels glauben, sie müssten Kritik an der Besatzungspolitik mit digitaler Denunziation beantworten. Wer sich durch ihre Seite scrollt, könnte meinen, den Gebetszettel eines mittelalterlichen Ablasshändlers zu lesen, der gegen Bezahlung jeden Sünder aufnimmt, solange die Münze in der Kasse klingt 

Hier wird nicht diskutiert, hier wird registriert. Namen, Gesichter, Meinungen, Kinderfotos – jede Regung gegen die Besatzung, jeder Tweet, der nicht ins Hasbara-Liederbuch passt, landet in einem Dossier, das aussieht, als habe ein sozialpsychologischer Praktikant der McCarthy-Stiftung gerade das Internet entdeckt. Wer es betreibt, bleibt anonym, aber jeder, der dort landet, ist öffentlich. Ein feuchter Traum der Geheimdienste – gratis geliefert von Aktivisten, die sich in ihren Palästina-freien Safe Spaces gerne als Vorkämpfer der Zivilisation gerieren.

Ein Blick in ihr eigenes Selbstverständnis

„Canary Mission dokumentiert Personen und Organisationen, die Hass gegen die USA, Israel und Juden auf nordamerikanischen Universitäten und anderswo schüren. (…) Canary Mission ist motiviert, dem zunehmenden Antisemitismus auf Universitätsgeländen entgegenzuwirken.“

Kommentar: Welch praktisches Weltbild: Jede Kritik an Israels Besatzungspolitik wird per Definition zu Antisemitismus erklärt, sodass sich jegliche Debatte erübrigt. Kritik wird zu Hass, Boykott wird zu Vernichtungsfantasie, und wer es wagt, Differenzierungen einzufordern, landet auf der Liste – eine Rhetorik, die schon im Kalten Krieg alles links der NATO als Moskau-gesteuert ansah.

„Wir fassen diese Informationen in einem übersichtlichen und leicht durchsuchbaren Format zusammen und bieten der Öffentlichkeit kostenlosen Zugriff.“

Kommentar: Ein Pranger bleibt ein Pranger, auch wenn er übersichtlich gestaltet ist. Für die Denunzierten ist es egal, ob ihre digitalen Steckbriefe kostenlos zugänglich oder mit Werbung für PowerPoint-Abonnements unterlegt sind.

„Vor der Veröffentlichung werden alle Inhalte überprüft und entsprechen unseren hohen Standards hinsichtlich Genauigkeit und Authentizität.“

Kommentar: Dieselbe Logik autoritärer Staatssicherheitssysteme: Wenn es veröffentlicht wird, muss es wahr sein. Dass ihre „hohen Standards“ sich regelmäßig auf Screenshots, Facebook-Kommentare und interpretierte Tweets stützen, ändert nichts an der Lächerlichkeit dieses Wahrheitsanspruchs.

„Personen, die der Meinung sind, dass sie von der Website der Canary Mission entfernt werden sollten, werden gebeten, sich mit uns in Verbindung zu setzen und möglicherweise ein Ex-Canary zu werden.“

Kommentar: Das ist der vielleicht abstoßendste Satz in ihrer Selbstdarstellung. Wer sich entschuldigt, wer Abbitte leistet, wer die Linie der Macht anerkennt, dem wird Amnestie gewährt. Ein Muster, das nicht nur an autoritäre Regime, sondern auch an die inquisitorische Praxis erinnert: Wer widerruft, wird nicht verbrannt, sondern höchstens öffentlich gedemütigt und unter Überwachung gestellt.

Zurück zum Kern

Doch längst geht es nicht mehr nur um die Beschädigung der beruflichen Zukunft von BDS-Studenten. Mittlerweile dient diese Datenbank den israelischen Grenzbeamten als Einlasskontrolle. Wer auf der Liste steht, wird am Flughafen verhört, abgeschoben oder mit Dauerverbot belegt. Die Grundlage: Screenshots, Screenshots, Screenshots. Das Recht auf Bewegungsfreiheit wird zur Gefangenschaft im Algorithmus einer anonym betriebenen Online-Prangerseite. Und das ausgerechnet in einem Land, dessen Regierung sich bei jeder Gelegenheit auf demokratische Werte beruft, während ihre Beamten Wikipedia-Zitate und Facebook-Posts zur Grundlage ihrer Abschiebungsentscheide machen.

Canary Mission ist die Denunziationsmaschine im Zeitalter des Datenkapitalismus: keine rechtliche Prüfung, kein Einspruch, kein Gerichtsverfahren. Nur ein Upload-Button für jene, die wissen, welche Menschen sie ruiniert sehen wollen. Ihre Betreiber verschweigen ihre Identität mit größerer Inbrunst, als sie die ihrer Opfer enthüllen. „Wenn Sie ein Rassist sind, sollte die Welt es wissen“, schreiben sie auf ihre Seite – als ob ein rassistisches System nicht selbst definierte, wer Rassist ist und wer nur die Besatzung kritisiert.

Dabei zeigt Canary Mission das Elend des  Revisionistischen Zionismus im 21. Jahrhundert: nicht mehr fähig zur ideologischen Debatte, bleibt nur noch das digitale Steckbriefwesen. Wer Namen auflisten muss, um Argumente zu ersetzen, hat seine politische Moral längst an die Cloud verkauft. Dort liegen nun über 2000 Profile von Studenten, die eines gemeinsam haben: den Mut, Israels Politik zu kritisieren. Was bleibt, ist Angst. Angst vor Jobverlust, vor Abschiebung, vor dem faktischen Reiseverbot ins eigene Herkunftsland. Eine Angst, die Canary Mission nicht etwa bestreitet, sondern feiert wie die Inquisition ihre Scheiterhaufen.

Es wäre zu hoffen, dass diese Seite irgendwann verschwindet wie ihre historischen Vorbilder: als beschämendes Dokument einer Zeit, in der Spitzel und Blockwarte ihre Hässlichkeit ins Netz luden, um dem großen Ziel zu dienen. Die Frage ist nur, welches Ziel: die Verteidigung des Staates Israel oder seine moralische und intellektuelle Bankrotterklärung?

 

Für weitere Informationen:
➡️ Artikel aus der New Yorker jüdischen und Progressiv zionistischen Online-Zeitung The Forward: https://forward.com/news/407279/canary-missions-threat-grows-from-us-campuses-to-the-israeli-border/



 


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