„Veränderung beginnt mit uns“ – Ein SPD-Leitantrag oder doch nur ein Leid-Antrag?

 TL;DR: „Veränderung beginnt mit uns“, sagt die SPD. Ihr Leitantrag ist aber kein Aufbruch, sondern Leid-Antrag: Diagnose ohne Konsequenz, PR statt Politik. Veränderung mag mit ihr beginnen, aber sicher nicht bei ihr.



Der Leitantrag der SPD für den heute begonnenen Bundesparteitag 2025 trägt den Titel ‚Veränderung beginnt mit uns‘. Doch was hier als große Wende angekündigt wird, entpuppt sich beim Lesen als Leid-Antrag: eine schonungslose Bestandsaufnahme der eigenen Bedeutungslosigkeit, gefolgt von Versprechen ohne politische Substanz.

Die Partei konstatiert nüchtern:

„Mit nur 16,4 Prozent der Stimmen hat die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland erzielt.“ (Z.3)

Und weiter:

„Die SPD hat substanziell Vertrauen verloren – inhaltlich, organisatorisch und kommunikativ.“ (Z.7)

Die Gründe benennt sie treffend: fehlende strategische Klarheit, kein Zugang zu jungen Menschen, Arbeitnehmer*innen oder prekären Milieus. Sie erkennt sogar, dass ihre politische Kommunikation zur PR verkommen ist:

„Unsere politische Kommunikation war oft zu komplex, hat die Gefühle und Lebenslagen der Menschen nicht erreicht und wurde zu oft als PR verstanden – nicht als Dialog.“ (Z.38–39)

Doch was folgt daraus? Statt klarer politischer Forderungen liest man vor allem Selbstbespiegelung und Prozessrhetorik.

Die Partei kündigt an:

„Wir wollen die Ursachen verstehen, bevor wir Schlussfolgerungen ziehen.“ (Z.49)

Diese Haltung dominiert den gesamten Antrag: kein Wort zu einer Erhöhung des Mindestlohns, kein Vorschlag zur Senkung der Stromsteuer, keine Position zum Krieg in Nahost. Der Ukrainekrieg wird lediglich als externer Faktor erwähnt, ohne geopolitische Einordnung oder programmatische Antwort. Zum Aufstieg der AfD heißt es nur, progressive Politik werde durch organisierte Kapitalinteressen geschwächt (Z.14–16) – aber kein Konzept wird entwickelt, wie die SPD diesem autoritären Rollback begegnen will.

Zur Gleichstellung der Geschlechter findet sich lediglich:

„Was verhindert echte Gleichstellung?“ (Z.100)

Eine Frage, kein Programm. Keine Quote, keine strukturelle Analyse, kein feministisch orientiertes Machtstrukturprogramm. Auch zur Wehrpflicht oder Sicherheitspolitik findet sich nichts. Die angekündigte Veränderung bleibt ein Diskursversprechen, kein gesellschaftlicher Gestaltungswille.

Dieser Leitantrag gleicht mehr einer Therapiesitzung als einem politischen Konzeptpapier. Es geht um Selbstverständnis, nicht um gesellschaftliche Umwälzung. „Veränderung beginnt mit uns“ bedeutet hier nicht Widerstand gegen herrschende Eigentumsverhältnisse, sondern die rhetorische Selbstvergewisserung einer Partei, die weder bereit noch fähig ist, ihre Rolle als staatstragende Verwaltungsinstanz zu hinterfragen.

Die SPD kündigt ein neues Grundsatzprogramm an – für 2027. Bis dahin bleibt sie, was sie in diesem Antrag beschreibt: eine Partei ohne Antworten, die ihr Programm im Prozess ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit schreibt. Veränderung mag mit ihr beginnen, aber sicher nicht bei ihr.

 

 



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