Zum Statement der LAG Palästinasolidarität Berlin – oder: Die Revolutionsnachtwächter schreiben einen Offenen Brief
TL;DR: „Wer, wenn nicht wir?“, fragt die LAG Palästinasolidarität. Vielleicht jemand mit politischem Urteilsvermögen. Ihr Brief: Moralischer Furor statt Nachdenken, Symbolpolitik statt Analyse. Die Revolution schreit – weil sie das Sprechen verlernt hat.
„Wer,
wenn nicht wir?“ – fragt die LAG Palästinasolidarität Berlin, und man
möchte, frei nach Brecht, antworten: Vielleicht
jemand, der den Kopf nicht nur zum Nicken benutzt. In ihrem offenen Brief
an die Parteiführung der Linken bläst die Arbeitsgemeinschaft zur großen
Mobilmachung: gegen „Zaudern“, gegen „Komplizenschaft“, gegen den „Genozid in
Gaza“ – und, wenn man genau hinhört, gegen alles, was nach Differenzierung,
Debatte oder dialektischer Zumutung riecht.
Was Ines Schwerdtner in ihrem Interview bei Jung & Naiv tastend und vorsichtig als
realpolitischen Spagat beschreibt – zwischen einer repressiven Öffentlichkeit,
innerparteilichen Spannungen und dem Wunsch nach pluralem Protest –, degradiert
die LAG zur Nebensache. Schwerdtners Versuch, jüdische Stimmen und israelische
Kriegsgegner*innen einzubinden, wird durch ein Pamphlet beantwortet, das
politische Komplexität nicht als Herausforderung, sondern als Verrat deutet.
„Schluss
mit dem Zaudern!“, schreit es aus dem Brief. Adorno hätte dazu gesagt:
Wer denkt, zaudert. Und genau das ist
das Problem: Denken ist in dieser Solidaritätsbewegung nur noch als Störung
vorgesehen. Die Revolution, einst Hoffnung der Vernunft, wird zur liturgischen
Pflichtübung, bei der das Banner heiliger ist als der Mensch.
Denn „diese
Bewegung gehört zur Linken“, so verkündet es die LAG, als wäre sie der
Gralshüter einer geschichtlichen Sendung. Rosa Luxemburg sprach einst davon,
dass Freiheit immer auch die Freiheit der Andersdenkenden sei. Hier jedoch wird
Andersdenken zur Bedrohung erklärt. Es zählt nur noch die „uneingeschränkte Unterstützung“ – ein
Begriff, der, säuberlich aufpoliert, sich hervorragend in jede autoritäre
Rhetorik einfügen ließe.
Dass man über Fahnen diskutieren wollte – ob
Palästina, Israel oder Friedenssymbol – erscheint in der Weltsicht der LAG
bereits als Irrweg. Die eigene Fahne reicht. Alles andere „verwirrt“ nur, heißt
es sinngemäß. Es ist ein politisches Verständnis von Symbolik, das sich nicht
fragt, was etwas bedeutet, sondern nur, wer es zuerst hochhält.
Und so schreibt eine AG, die sich für die
Avantgarde der Menschlichkeit hält, Sätze wie:
„Unsere
Partei muss ENDLICH und ganz klar Stellung beziehen.“
Mit Betonung auf „endlich“ und „klar“ – das klingt nicht nach Pluralismus,
sondern nach Ultimatum. Der revolutionäre Imperativ duldet keinen Widerspruch.
Wer nicht mitzieht, bleibt zurück – vielleicht gleich ganz draußen.
Brecht schrieb in der Maßnahme von jenen Genossen, die „aus Liebe zum Menschen den
Menschen vergessen“. Die LAG vergisst ihn nicht – sie ersetzt ihn. Durch das
Kollektiv, das keine Widersprüche kennt. Durch eine Partei, die „endlich“
handeln soll, als wäre sie nicht Ort des Streitens, sondern Instrument
moralischer Reinwaschung.
Dass Schwerdtner mit Bedacht, nicht mit Pathos
argumentiert, wird ihr in dieser Logik als Schwäche ausgelegt. Dabei ist ihr
Zögern – ihr Noch-nicht-Gewiss-sein –
das letzte Aufflackern einer politischen Vernunft, die weiß, dass man mit
Gewissheiten vorsichtig sein muss. Gerade wenn man sie am lautesten schreit.
„Die
Basis ist schon längst da!“, ruft die LAG. Doch Basis ist nicht gleich
Wahrheit. Auch Irrtum kann sich versammeln. Auch Dogma kann aus dem Erdgeschoss
kommen. Und wer meint, aus der Partei ein Sprachrohr revolutionärer
Unfehlbarkeit machen zu müssen, hat sie bereits zur Sekte umgebaut – mit Fahne,
Feindbild und Furor.
So bleibt das Statement ein Dokument nicht der
Stärke, sondern der Schwäche – jener Schwäche, die Komplexität nicht erträgt.
Die Partei soll führen, ja. Aber bitte nur in eine Richtung: nach vorn, im
Gleichschritt, auf eine Bühne, auf der keine israelische Flagge weht, kein
jüdischer Dissens stört, kein Zweifel länger erlaubt ist.
Die Revolution hat wieder einmal das Sprechen
eingestellt. Jetzt wird gebrüllt.